
Triggerwarnung: In diesem Text geht es um Körperwahrnehmung, Dissoziation, depressive Symptome, Körperhygiene und belastende Selbstbilder. Bitte lies ihn nur, wenn du dich heute stabil genug dafür fühlst.
Warum es schrecklich ist einen Körper zu haben
Wenn man psychisch krank ist, betrifft das nicht nur Gedanken und Gefühle. Es zieht sich durch das ganze Leben.
Und einer der größten Schauplätze dieser Krankheit ist oft: der eigene Körper. Er wird zur Projektionsfläche, zum Schlachtfeld und zum Fremdkörper.
Dabei ist er eigentlich das Zuhause – oder sollte es sein.
Körperwahrnehmung
Viele psychische Erkrankungen verzerren die Selbstwahrnehmung. Man sieht sich im Spiegel und erkennt sich nicht. Oder nur durch eine harte, kritische Brille.
Body Dysmorphia ist mehr als sich „nicht schön“ zu finden. Es ist das Gefühl, dass etwas falsch ist. Und das immer. Instagram und Co. liefern ständig neue, unerreichbare Vergleichsbilder.
Und dann gibt es diese seltsamen Tage, an denen man sich selbst plötzlich erträgt. Fast sogar okay findet. Nur um am nächsten Tag panisch das Licht im Badezimmer auszulassen, weil der Anblick im Spiegel unerträglich ist.
Ich selbst schaue so selten wie möglich in den Spiegel. Ich wiege mich nicht. Wenn mir Kleidung nicht mehr passt, löst das massiven Stress in mir aus: Scham, Hilflosigkeit, Selbsthass. Manchmal ist eine simple Umkleidekabine für mich wie ein Trigger für eine Panikattacke. Dann wieder kommt diese leise Stimme: „So schlimm ist es doch gar nicht …?“
Und doch bleibt das Gefühl falsch.
Es gibt Tage, da sehe ich mich – und sehe nur Mängel.
Was mir manchmal hilft:
- Accounts entfolgen, die ein verzerrtes Körperbild vermitteln
 - An besseren Tagen gezielt nach einem Detail suchen, das man mag (zum Beispiel die Augenfarbe)
 - Sich innerlich die Erlaubnis geben, sich nicht ständig zu bewerten
 - Mit sich reden wie mit einer guten Freundin: freundlich, geduldig
 
Sinneswahrnehmung
Auch unsere Sinne sind vom psychischen Zustand beeinflusst.
Viele Reize auf einmal überfordern mich schnell: Geräusche, Gerüche, Berührungen. Kleidung fühlt sich auf der Haut plötzlich falsch an. Enge Stoffe kratzen, jucken, machen mich wahnsinnig. Körperliche Nähe kann sich beängstigend anfühlen – selbst wenn sie liebevoll gemeint ist. Sogar von Menschen, denen ich vertraue.
Ein Fun Fact (der irgendwie alles andere als fun ist): Übermäßiges Schwitzen ist eine häufige Nebenwirkung von Antidepressiva. Das klingt banal, ist aber wahnsinnig unangenehm.
Ich habe Schwierigkeiten mit Umarmungen, sogar mit meiner Partnerin. Mein Körper reagiert mit Anspannung, obwohl mein Kopf eigentlich Nähe will. Mein Geruchssinn ist extrem empfindlich – bestimmte Gerüche lösen in mir sofortige Ablehnung oder sogar Ekel aus.
All das macht den Alltag anstrengend. Und macht meinen Körper zu einem unerwünschten Fremden.
Manchmal fühlt sich Nähe nicht warm an – sondern wie Lärm, der zu nah kommt.
Was mir manchmal hilft:
- Weiche, bequeme Kleidung wählen – am besten Materialien, die sich gut anfühlen
 - Duftstoffe (auch Parfüms oder Raumsprays) bewusst reduzieren oder meiden
 - Kommunikation über Berührungen: „Ich mag gerade keine Umarmung“ darf gesagt werden
 - Kleine Reizpausen schaffen: Kopfhörer, Sonnenbrille, Rückzugsorte
 
Körperhygiene
Körperpflege – etwas so Banales. Aber für viele psychisch kranke Menschen ist das ein Kraftakt.
Zähneputzen, Duschen, Deo benutzen – alles kostet plötzlich unendlich viel Überwindung.
Es gibt Tage, manchmal sogar Wochen, in denen ich es nicht schaffe, mich zu duschen. Oder meine Zähne zu putzen. Nicht, weil ich es nicht will. Sondern weil mein Körper sich wie ein bleiernes Gewicht anfühlt. Weil einfach alles zu viel ist. Dann erscheint es sinnlos, diesen Körper zu pflegen, den ich gerade nicht mal ertrage.
Ich weiß genau, was ich tun sollte. Aber es fühlt sich an, als läge eine Mauer dazwischen.
Was mir manchmal hilft:
- Mini-Schritte erlauben: zum Beispiel nur Gesicht waschen oder Mund ausspülen
 - Pflegeprodukte mit angenehmem Geruch wählen, die einfach zu nutzen sind
 - To-do-Listen können entlasten (zum Beispiel: „nur einmal diese Woche duschen“ ist auch okay)
 - Vorbereiten: Handtuch und Kleidung schon morgens rauslegen
 - Selbstmitgefühl statt Schuld – es ist kein persönliches Versagen, sondern ein Symptom
 
Der eigene Körper
Lange habe ich mich von meinem Körper abgekoppelt. Ich lasse kaum Verbindung zu.
Es fühlt sich unangenehm an, mich selbst zu spüren. Ich empfinde jedes körperliche Gefühl – Hunger, Müdigkeit, Kälte – nicht als Hinweis, sondern als Störung.
Ich merke oft nicht, ob mir schlecht ist, weil ich zu wenig gegessen habe – oder zu viel. Ich verdränge es einfach. Ob ich genug trinke? Keine Ahnung. Ob ich mich wohlfühle in meinem Körper? Ich weiß es nicht. Und will mich damit auch oft gar nicht beschäftigen.
Diese Trennung ist ein Schutzmechanismus. Aber auch ein Hindernis. Denn Heilung bedeutet, genau da wieder hinzusehen. Sich zu verbinden. Und das ist schwer. Unendlich schwer. Aber wichtig
Ich wünschte, ich könnte fühlen – ohne sofort zu ersticken an dem, was da ist.
Was mir manchmal hilft:
- Achtsamkeitsübungen, bei denen man bewusst auf ein Körpergefühl achtet – ohne zu bewerten
 - Trinken nach Uhrzeit oder Erinnerung, nicht erst nach Durstgefühl
 - Sich fragen: „Was braucht mein Körper gerade?“ auch wenn keine Antwort kommt
 - Bewegung als sanfte Annäherung: Spaziergänge, Dehnen, Barfußlaufen
 - Meditation als vorsichtiges Hineinhorchen: „Was ist da eigentlich?“
 - Sich erlauben, dass der Weg zur Verbindung Zeit braucht
 
Gedanken zum Mitnehmen
Das Thema Körper ist für mich noch lange nicht abgeschlossen – im Gegenteil.
Es bleibt ein zentraler Teil meiner inneren Arbeit. Und meiner Kunst. Wenn ich male, arbeite ich oft mit den Händen – spüre Farbe, Untergrund, mich selbst.
Manchmal unangenehm, aber immer ein Schritt zur Annäherung.
Musik für den Moment
InhaDiese Songs begleiten mich an Tagen, an denen mein Körper mir zu laut, zu schwer oder zu weit weg ist. Musik, die nicht drängt – sondern bleibt. Für Momente, in denen ich versuche, mich selbst auszuhalten.
Abschluss
Ich weiß nicht, ob ich meinen Körper jemals lieben werde.
Aber vielleicht kann ich irgendwann lernen, ihn auszuhalten.
Und mit der Zeit: ihn zu verstehen.
