
Wenn Farben anfangen zu sprechen
Ich teile meine Bilder nicht, weil sie Meisterwerke sind.
Ich teile sie, weil sie für mich sprechen – manchmal sogar lauter, als ich es mit Worten könnte.
Kunst als Wettbewerb
Mit 14 fing ich an zu zeichnen – und ungefähr genauso schnell hörte ich wieder auf. Nicht, weil die Freude weg war, sondern weil das Vergleichen alles kaputtgemacht hat. Ich sah meine Bilder, ich sah die Bilder anderer, und sofort war da dieses Urteil: Das ist besser. Das ist schlechter. Meins ist zu wenig.
Das Schlimme ist: Die Gesellschaft spielt da mit. Kunst wird oft wie ein Wettkampf behandelt – wer „Talent“ hat, wer „es drauf hat“, wer die besten Noten bekommt oder die meisten Likes. In der Schule werden Bilder benotet, im Internet werden sie bewertet, gelikt, geteilt oder ignoriert. Es entsteht dieser ständige Druck, dass Kunst „gut“ aussehen muss. Aber was heißt „gut“ eigentlich? Gut für wen? Gut in welchem Maßstab?
Diese Haltung frisst sich tief ein. Wer nicht das Gefühl hat, mit seiner Kunst glänzen zu können, hört irgendwann einfach auf. Genau das ist mir passiert. Statt zu fragen: Was bedeutet das Bild für mich? habe ich nur gefragt: Würde das jemand anderes mögen?
Und so verschwand die Freude, bevor sie richtig wachsen konnte.
Jahre ohne Striche
Die Jahre ohne Kunst waren keine „Pause“, sie waren ein Loch. Da war keine Kreativität, kein Ausdruck, kein Ausgleich. Ich funktionierte – aber ich war nicht mehr ganz ich. Es fehlte ein Teil, der sonst immer mitgezeichnet hätte, auch wenn ich ihn damals nicht so benennen konnte.
Manchmal glaube ich, dass genau das der härteste Teil war: nicht nur nichts zu schaffen, sondern gar nichts mehr zu fühlen, was mit Kreativität zu tun hatte. Keine Neugier, keine Freude, kein Ich will ausprobieren. Einfach Stille. Eine Stille, die irgendwann so schwer wurde, dass sie fast erdrückte.
Diese Leere hat nicht nur meine Hände stillgemacht, sondern auch mein Inneres. Wenn ich zurückblicke, sehe ich Tage, die sich alle gleich anfühlten. Als wäre das Leben nur ein Kalender, der sich selbst weiterblättert, ohne dass ich ihn anfasse. Kein Strich, kein Ton, kein Ausdruck. Ich war da – aber ohne Farbe.
Und genau das ist das Tückische: man merkt manchmal erst, wie sehr einem etwas fehlt, wenn es schon lange weg ist. Kunst war für mich nicht „ein nettes Hobby“, sie war ein Teil meines Atems. Ohne sie habe ich weitergeatmet, aber nur sehr flach.
Kunst ohne Bewertung
In der Klinik bekam ich zum ersten Mal wieder Farben in die Hand. Drei Monate Therapie – und die wichtigste Regel lautete: nicht bewerten.
Kein „schön“ und kein „hässlich“. Kein „Das sieht aus wie…“ und auch kein „Das müsste anders.“
Das war am Anfang fast unmöglich. Ich war so gewohnt, alles sofort einzuordnen. Aber mit der Zeit passierte etwas: Ich konnte meine Bilder stehen lassen, so wie sie waren. Ich konnte fragen: Drückt es mich aus? – statt: Gefällt es anderen?
Und das war der Wendepunkt. Kunst wurde nicht länger etwas, das man abliefert, sondern etwas, das mich am Leben hält. Plötzlich war der Prozess wichtiger als das Ergebnis. Manchmal entstanden nur Farben, manchmal wilde Linien, manchmal etwas, das fast ein Bild war – aber es war immer ich.
Und genau deswegen teile ich heute meine Kunst. Nicht, um zu glänzen, sondern um sichtbar zu sein. Um Verbindung zu schaffen. Und vielleicht auch, um jemandem Mut zu machen, selbst die erste Linie zu ziehen.
Gedanken zum Mitnehmen
Pinsel mitnehmen 
Eine kleine Anleitung
- Fang mit Farben an. Egal welche, egal wie.
 - Benutz deine Hände, nicht nur den Pinsel. Nähe entsteht, wenn man spürt.
 - Frag dich nicht: Sieht das gut aus? Frag dich: Bin ich drin?
 - Manchmal bleibt es bei Farben. Manchmal wächst mehr daraus. Beides ist Kunst.
 
Vielleicht ist ein Bild nie fertig und das ist genau richtig so.
Musik für den Moment
Eine kleine Sammlung von Songs, die roh und unperfekt klingen – so wie erste Striche auf Papier. Musik, die sich nicht anpasst, sondern einfach da ist.
Abschluss
Am Ende bleibt kein Siegertreppchen. Keine Wertung, kein Vergleich.
Am Ende bleibt nur dein Bild – und das reicht.
