Der Absturz und die Skills

Wenn alles kippt, greife ich nach dem, was mir vertraut ist.
Nach diesen kleinen Routinen, die ich irgendwann „Skills“ nennen gelernt habe.
Manche sind simpel: kaltes Wasser über die Hände laufen lassen, mit der Farbe auf Papier kommen, ohne Ziel. Andere sind komplizierter, weil sie verlangen, dass ich präsent bin, während ich es kaum aushalte, in meinem Körper zu bleiben.

In solchen Momenten wird jede Handlung zu einem Seil, das mich an der Oberfläche hält.
Atmen. Fühlen. Tun.
Ich klammere mich an diese Reihenfolge, auch wenn sie manchmal mechanisch wirkt. Denn sie bedeutet: ich bin noch da. Aber manchmal fühlt es sich weniger nach Selbsthilfe an und mehr nach einem Protokoll, das ich befolge, um nicht auseinanderzufallen.
Und ich frage mich, ob das auch zählt – ob es reicht, sich zu beruhigen, nur um weiterzumachen, statt wirklich in dieser Beruhigung anzukommen.

Wenn Beruhigung zur Kontrolle wird

Es gibt Momente, da male ich so konzentriert, dass ich vergesse zu atmen. Wirklich – ich halte den Atem an, als würde jede Bewegung zu viel die Linie zerstören.
Erst wenn mein Brustkorb eng wird, fällt mir auf, dass ich die Luft anhalte, und dann kommt dieses kurze, schnelle Nachholen, fast schon Schnappatmung.
Beruhigung kann sich dann anfühlen wie ein inneres Krampfhalten. Ich verliere mich in winzigen Details, weil sie greifbar sind.

Ein Strich, eine Fläche, eine Wiederholung.
Es beruhigt mich – bis ich merke, dass ich nicht mehr male, um mich auszudrücken, sondern um das Chaos zu zähmen. Ich sehe nur noch Fehler, Unebenheiten, Unstimmigkeiten. Ich versuche, sie zu „reparieren“, übermale, gleiche aus, kontrolliere. Und plötzlich ist das, was mich beruhigen sollte, genau das, was mich wieder atemlos macht.
Kunst kann trösten, aber sie kann auch fordern, dass ich mich selbst verliere, um ihr für einen Moment ähnlich zu werden: still, perfekt, beherrscht.

Zwischen Selbstbeobachtung und Selbstverlust

Ich frage mich oft, wann Beruhigung noch Selbstfürsorge ist – und wann sie schon wieder Flucht wird. Manchmal denke ich, ich halte mich selbst wie eine Tasse heißes Wasser: vorsichtig, konzentriert, ängstlich, sie zu verschütten. Beruhigung braucht Bewusstsein, aber zu viel davon kippt in Kontrolle.

Ich beobachte mich dabei, wie ich mich beruhigen will, und merke, dass dieses Beobachten schon wieder Anspannung erzeugt.
Es ist ein paradoxes Spiel: Ich will loslassen, aber ich will auch sicher sein, dass ich es richtig mache. Dass ich mich „gut“ beruhige, so wie man es lernen soll.

Doch vielleicht ist das gar nicht der Punkt.
Vielleicht geht es nicht darum, ob ich es „richtig“ mache.
Vielleicht reicht es, dass ich versuche, sanft mit mir zu sein, auch wenn meine Ruhe nicht hübsch aussieht.
Auch wenn sie flackert.
Auch wenn sie nur kurz bleibt.


Gedanken zum Mitnehmen

  • Nicht jede Beruhigung ist Heilung, aber sie kann ein Anfang sein.
  • Kontrolle kann sich wie Sicherheit anfühlen – und trotzdem ein Käfig sein.
  • Man darf loslassen, ohne sich völlig zu verlieren.
  • Vielleicht ist Beruhigung kein Zustand, sondern ein Gespräch mit sich selbst.

Musik für den Moment

Manchmal hilft keine Technik, kein Gedanke, keine Struktur – nur ein Lied, das mitatmet, wenn du es selbst nicht kannst.

Hier findest du meine Playlist für diese Momente:

Abschluss

Vielleicht ist die Kunst, sich zu beruhigen, weniger eine Fähigkeit als ein Prozess. Etwas, das man immer wieder neu lernen muss, weil das Leben sich ständig verändert. Und vielleicht ist es gar nicht schlimm, wenn Beruhigung manchmal nur bedeutet, für einen Moment den Atem zurückzufinden.

Wie erlebt ihr das – was bedeutet Beruhigung für euch? Habt ihr eigene Wege, euch zu stabilisieren, oder Themen, über die ihr hier gerne mehr lesen würdet? Schreibt mir gern in die Kommentare, was euch hilft – oder was euch schwerfällt.

Ich lese alles, und manchmal entstehen genau daraus die nächsten Texte.

2 Kommentare

  1. Den Gedanken, etwas „richtig“ zu machen, den kennt man – so, wie es überall vorgelebt wird: tief atmen, zu sich selbst finden, Dinge ganz bewusst tun…
    Aber mir fällt das schwer, ohne dabei zu denken, dass alles perfekt sein muss. Das Drumherum soll stimmen – die Wohnung ordentlich, das Umfeld ruhig, alles passend für diesen „perfekten Moment“.

    Für mich funktioniert das Beruhigen allerdings nur im Kopf. Ich schreibe auf, was gerade wirklich wichtig ist, und mache mir bewusst, was ich jetzt, in diesem Moment, überhaupt tun kann.
    Wenn ich mir das klar mache, kehrt Ruhe ein. Dann weiß ich: Diese ganze Anspannung und Unruhe entsteht oft aus Unsicherheit – über Dinge und Situationen, die ich in diesem Moment weder ändern noch kontrollieren kann.

  2. Also ich kann mich manchmal nicht gut selbst beruhigen .
    Die Gedanken kreisen dann nur um dieses Thema und bin dann so festgefahren, dass ich alleine dort nicht rauskomme.
    Bei mir macht es dann die Zeit oder Gespräche mit lieben Menschen die meinen Blickwinkel verändern.

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