Triggerwarnung: In diesem Text geht es um Suizidgedanken, Selbstverletzung und psychische Krisen. Wenn dich diese Themen belasten oder gefährden könnten, lies bitte nicht weiter oder achte gut auf dich.

Wie es dahin kommt

Es beginnt selten plötzlich. Meist ist es ein schleichender Prozess.

Das Leben fühlt sich an wie ein Gewicht, das man ständig mit sich herumschleppt. Erst sind es kleine Dinge: Müdigkeit, das Gefühl, nicht mehr mitzukommen, das ständige Ringen darum, überhaupt aufzustehen. Irgendwann ist da nur noch Schwere. Jeder Atemzug kostet Kraft. Jeder Tag wird zu einer Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist.
In dieser Dunkelheit sucht man nach einem Ausweg, nach irgendeiner Möglichkeit, die Gefühle zu ordnen. Selbstverletzung wirkt in solchen Momenten wie eine Form der Regulation. Der innere Schmerz findet einen Ausdruck nach außen. Für wenige Sekunden ist da Kontrolle, Ruhe, ein Gefühl, das Chaos im Inneren zu bändigen. Doch diese Erleichterung ist trügerisch – sie hält nicht lange an, und zurück bleibt nur ein tieferes Loch.

Wenn diese Mechanismen nicht mehr reichen, kommen Suizidgedanken. Sie schleichen sich ein, erst als flüchtiger Gedanke, dann als leise Option. Mit der Zeit können sie sich verfestigen, wie eine dunkle Gewissheit: Dass es vielleicht einfacher wäre, nicht mehr hier zu sein. Dass der Tod irgendwann leichter wirkt als das Leben.

Meine persönliche Geschichte

Ich war ungefähr 13 Jahre alt, als ich mich das erste Mal selbst verletzt habe. Was damals als verzweifelter Versuch begann, Gefühle spürbar zu machen, wurde bald zu etwas, das mich jahrelang begleitet hat. Es gab Zeiten, in denen ich es täglich getan habe. Für einen kurzen Moment brachte es Erleichterung – als könnte der Schmerz im Inneren endlich irgendwohin fließen. Aber danach kam sofort die Scham, das Verstecken, die Leere.
Mit 17 oder 18 hörte ich das letzte Mal damit auf – zumindest glaubte ich das. Doch viele Jahre später kam es zurück. Selbstverletzung ist wie eine Sucht: selbst wenn man sie hinter sich gelassen hat, bleibt die Versuchung in den dunkelsten Momenten. Man weiß, dass es weh tut, dass es zerstörerisch ist – und trotzdem lockt die Aussicht auf diesen kurzen Moment von Ruhe.
Parallel dazu waren Suizidgedanken immer da. Ich habe meine Zukunft nie wirklich geplant, weil ich immer davon ausging, dass ich irgendwann einen Schlussstrich ziehen würde. Vor meiner Klinikeinweisung wurden diese Gedanken konkreter. Ich begann, meinen Tod zu planen. Ich schrieb Abschiedsnotizen. Der einzige Grund, warum ich nicht sofort handelte, war meine Partnerin. Ich wollte abwarten, sicherstellen, dass sie sich keine Schuld geben würde. Ich dachte, ich müsste nur noch den richtigen Moment abpassen.
In dieser Zeit kam ich in die Klinik. Ich habe dort als Ziel angegeben, einfach „funktionieren“ zu lernen – nicht, weil ich leben wollte, sondern weil ich meiner Partnerin keine Last sein wollte. Doch mit der Zeit habe ich etwas anderes verstanden: dass es mehr Gründe geben kann, zu bleiben, als nur der Gedanke, niemandem zur Last zu fallen. Dass auch ich selbst etwas wert bin, selbst wenn ich das damals kaum glauben konnte.

Wege heraus

Selbstverletzung und Suizidgedanken verschwinden nicht einfach, nur weil man beschließt, sie loszulassen. Sie sind wie ein Schatten, der bleibt – manchmal blasser, manchmal stärker. Viele beschreiben Selbstverletzung wie eine Sucht. Auch wenn man längere Zeit „clean“ ist, kann die Sehnsucht danach in stressigen oder schmerzhaften Situationen plötzlich zurückkehren.
Wichtig ist deshalb, Strategien zu finden, die in den schlimmsten Momenten helfen. Dinge, die den Drang abfangen können, ohne dass man sich selbst verletzt. Manche nutzen dafür einen Haargummi, den sie gegen die Haut schnipsen lassen. Andere drücken einen stacheligen Igelball fest in die Hand, um Schmerz zu spüren, ohne sich zu verletzen. Kaltes Wasser über die Arme laufen zu lassen, Eiswürfel in der Hand zu zerdrücken, ein Kissen zu schlagen oder laut zu schreien – all das kann Ventile öffnen, wenn der Druck unerträglich wird.
Das sind keine perfekten Lösungen. Sie nehmen nicht den Grundschmerz. Aber sie können den entscheidenden Unterschied machen: dass eine Welle vorbeizieht, ohne dass sie dich mitreißt.
Langfristig helfen andere Dinge: ehrlich über Gefühle sprechen, sie in Worte oder Kunst verwandeln, in Therapie Zusammenhänge verstehen, die man allein nicht sieht. Und manchmal geht es einfach darum, den nächsten Tag zu schaffen – oder die nächste Stunde.

Wichtig ist: Niemand muss diese Dunkelheit alleine tragen. Es gibt Wege, wie man lernen kann, mit ihr zu leben, ohne dass sie einen verschlingt. Und es gibt immer die Möglichkeit, dass sie leichter wird – Stück für Stück, Tag für Tag.


Gedanken zum Mitnehmen

  • Selbstverletzung und Suizidgedanken sind keine „Phase“, sondern Ausdruck tiefer innerer Not.
  • Es fühlt sich oft wie eine Sucht an – auch wenn man aufgehört hat, bleibt das Verlangen manchmal bestehen.
  • Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn man in solchen Momenten nach alternativen Wegen sucht. Es ist ein Überlebensversuch.
  • Jeder kleine Schritt, jede Stunde, die man aushält, ist ein stiller Sieg.
  • Man ist nicht allein – auch wenn es sich oft so anfühlt.

Musik für den Moment

Ein paar Songs, die für mich diese Stimmung tragen und vielleicht für dich ein Anker sein können.

Abschluss

Wenn du dich in diesem Text wiedererkennst: bitte wisse, dass du nicht allein bist.
Vielleicht fühlst du dich wertlos oder überflüssig. Vielleicht ist da die Stimme, die dir sagt, dass es einfacher wäre, nicht mehr zu sein. Aber du bist hier. Du liest diese Zeilen. Und allein das bedeutet, dass es in dir noch einen Teil gibt, der nach etwas anderem sucht – nach Halt, nach Verständnis, nach Leben.
Halte dich an diesem Teil fest, auch wenn er klein ist.
Du musst nicht sofort gesund sein, nicht sofort frei von den Gedanken. Es reicht, wenn du bleibst. Einen Tag nach dem anderen.

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